PraenaTest – Ethische Aspekte 2 – Die aktuelle Diskussion

by admin ~ Juli 2nd, 2012. Filed under: Allgemein.

Am Donnerstag, den 5.  Juli 2012 wurde um in der Bundespressekonferenz in Berlin eine juristische gutachterliche Stellungnahme zum PraenaTest vorgestellt. Die Präsentation erfolgte durch

Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (www.behindertenbeauftragter.de). Herr Hüppe hat das Gutachten in Auftrag gegeben.
– Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, Rechtswissenschaftler, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
– Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust, Bundesgeschäftsführerin der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.
– Dr. Petra Blankenstein, Leona e.V., Mitglied des Sprecherkreises des Netzwerkes gegen Selektion durch Pränataldiagnostik
Sebastian Urbanski, Schauspieler mit Down-Syndrom des Theaters Ramba-Zamba Berlin 

Der Titel des Gutachtens lautet "Gutachterliche Stellungnahme zur Zulässigkeit des Diagnostikprodukts PraenaTest". Der Text ist bei Rollingplanet auf der Seite "Legal. illegal? Scheißegal! Downsyndrom-Babys werden aussortiert" und bei Down Kind München als Download erhältlich.

Der Autor des Gutachtens ist Prof. Dr. jur. Klaus Ferdinand Gärditz, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn. Eine kurze Biographie von Herrn Prof. Gärditz findet sich auf der Homepage der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Hier ist auch sein aktuelles Schriftenverzeichnis hinterlegt. Dort findet sich auf seiner 14-seitigen Publikationsliste eine medizin-bezogene Arbeit (Seite 5 Punkt 25: Menschenwürde, Biomedizin und europäischer Ordre Public).  Seine ausgewiesenen Forschungsschwerpunkte sind Verwaltungsprozessrecht, Allgemeines und Europäisches Verwaltungsrecht, Staatsrecht, Wissenschafts-, Umwelt- und Regulierungsrecht.

Das erklärte Ziel dieser Präsentation war es, die Interessen von Behinderten und ihren Vertretern in Anbetracht der anstehenden medizinischen Neuerung zu formulieren und hierdurch die in Gang befindliche gesellschaftliche Diskussion in ihrem Sinne zu beeinflussen. In der Laienpresse ist die Präsentation zum Thema PraenaTest des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung dabei auf große Resonanz gestossen.

So schreibt die Mitteldeutsche Zeitung in ihrem Artikel "Bluttest auf Down-Syndrom laut Gutachten illegal" unter anderem: 

"Der geplante „Praena-Test“ zur Erkennung eines Down-Syndroms während der Schwangerschaft ist einem Gutachten zufolge illegal, wird aber vermutlich trotzdem bald auf den Markt kommen. …….. Gärditz kommt in seinem Gutachten auch zu dem Schluss, dass der „Praena-Test“ gegen das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes verstößt. Der Staat müsse verhindern, dass behinderte Menschen vorgeburtlich routinemäßig ausgesondert werden. ……. Hüppe und Gärditz mussten allerdings eingestehen, dass sie den Verkauf des Produkts in Deutschland direkt nicht verhindern können. Laut Gärditz müssten die Bundesländer den Verkauf des Tests stoppen. Dieser werde als Medizinprodukt angeboten, eine Zulassung wie bei Medikamenten sei nicht erforderlich. Was bedeutet: Die Behörden müssten ein Verbot prüfen, das Unternehmen könnte dagegen beim Verwaltungsgericht klagen."

In der Wochenezitung DIE ZEIT wird im Artikel "Bluttest auf Down-Syndrom soll illegal sein" vermerkt:

"Der Bluttest auf Down-Syndrom "PraenaTest" ist nach  einem Rechtsgutachten unzulässig. Nach der Studie des Bonner Rechtswissenschaftlers Klaus  Ferdinand Gärditz verstößt der Test gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz sowie das Gendiagnostikgesetz. ……..  Laut Gutachten ist "PraenaTest" allerdings ein nicht verkehrsfähiges Medizinprodukt, "da es die Sicherheit und Gesundheit der Ungeborenen gezielt gefährdet". Gärditz verwies auf strafrechtliche Folgen für unzulässige vorgeburtliche Untersuchungen. Auch dürfe die gesetzliche Krankenkasse den Test nicht finanzieren."

Auf der Internetplattform Evangelisch.de findet sich unter Aktuell im Beitrag "Wir Behinderte sind verdammt noch mal alle Menschen" hierzu folgender Passus:

"Die Anwendung des Bluttests widerspreche damit nicht unbedingt dem Abtreibungsparagraphen 218, meint Klaus Ferdinand Gärditz von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der zu dem neuen Diagnoseprodukt ein Rechtsgutachten vorgelegt hat. Aber "PraenaTest" widerspreche Art. 3,2 des deutschen Grundgesetzes, da damit die Gesundheit Dritter, nämlich der noch Ungeborenen gefährdet werde. Zudem stehe es § 15 Abs. 1 des Gendiagnostik-Gesetzes entgegen. Denn die dort zugelassenen vorgeburtlichen Untersuchungen dienten ausschließlich medizinischen Zwecken. Da Trisomie 21 aber nicht heilbar ist, diene "PraenaTest" keinem Heilzweck und gehöre somit verboten. …… "Der Test ist als ein Medizinprodukt angekündigt. Und das geltende Medizinprodukterecht sieht anders als das Arzneimittelrecht keine zwingende Zulassung im Sinne einer Genehmigungsentscheidung vor. Aber ein Medizinprodukt ist nur verkehrsfähig, wenn es technische Standards erfüllt. Und zu diesen technischen Standards gehört eben auch, dass dieses Produkt keine Betroffenenrechte gefährdet, auch keine Rechte Dritter. Wir sehen in dem Produkt eine Gefährdung Dritter, nämlich des ungeborenen Menschen mit Behinderung", macht Jurist Gärditz deutlich."

Auf der Internetplattform Rollingplanet auf der Seite "Legal. illegal? Scheißegal! Downsyndrom-Babys werden aussortiert" wird hierzu berichtet:

"…. Gutachter Gärditz sagt, dass die Fruchtwasseruntersuchung nicht immer nur auf einen bestimmten Gendefekt teste, sondern auch therapeutische Zwecke habe. Bei Trisomie 21 sei das nicht der Fall. Ein Downsyndrom beruht auf einem Chromosomenfehler, es ist nicht heilbar. Doch geht es nicht auch um Rechte von Eltern, die abwägen, ob sie ein behindertes Kind großziehen können? Vielleicht ihren Job aufgeben, ihre Partnerschaft auf eine Zerreißprobe einstellen und ihr erwachsenes Kind im Alter fremder Hilfe anvertrauen? Gärditz lässt das nicht gelten. „Der Konflikt wird doch erst durch die Kenntnis über die Behinderung ausgelöst“, betont er. „Ein ungeborenes Kind wird am besten durch Nichtwissen über Behinderungen geschützt.“ ….."

Bei der WAZ-Westdeutschen Allgemeinen Zeitung heißte es auszugsweise im Artikel "Bluttest auf Down-Syndrom laut Gutachten illegal":

"….. Die Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Jeanne Nicklas-Faust, verwies darauf, dass bei Gentests allgemein der Arztvorbehalt gelte, diese Tests also nur von Ärzten vorgenommen werden dürfen. Zudem sei die Bundesrepublik durch die Unterzeichnung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderung in besonderer Weise zu schützen und zu achten. "Und dagegen verstößt dieser Test auf jeden Fall." ….. "

Ähnliche Zusammenfassungen zur Präsentation der gutachterlichen Stellungnahme auf der Bundespressekonferenz vom 5. Juli 2012 finden sich in der Zeitschrift bzw. Zeitung
 
Die Welt im Artikel "Bluttest auf Down-Syndrom soll illegal sein"
TAZ im Artikel "Gutachter hält Test für illegal"
– Der Spiegel im Artikel "Empörung über neuen Baby-Test"
Focus im Artikel "Gutachter hält Down-Syndrom-Bluttest für illegal"
Bild im Artikel "Down-Syndrom-Bluttest angeblich "llegal""
Berliner Morgenpost im Artikel "Bluttest auf Down-Syndrom soll illegal sein"
 
und multimedial im Internet bei Tagesschau.de übertitelt mit "Selektion durch Bluttest?"
 
Nicht unerwähnt sollten an dieser Stelle auch solche Artikel bleiben, welche sich hiervon auf ganz eigene Weise abgrenzen. Bemerkenswert in einer nach unten offenen journalistischen Richterskala ist dabei der im Internet bei news4press.com zu hierzu veröffentlichte Artikel des freien Journalisten Johannes Schumacher aus Wassenberg mit dem Titel "Michael Lutz – LifeCodexx – Des Teufels Statthalter – Bluttest Down-Syndrom "PraenaTest"". Der Artikel war in seinem Blog "Querdenker" abzurufen und ist mittlerweile gelöscht. Hier wurde die Einführung des neuen Testverfahrens als weiterer, neuer Beleg dafür dargestellt, dass die Ausgestaltung der Pränatalmedizin in unserer Gesellschaft – in einem jahrzehntelangen mehrheitsdemokratischen gesellschaftlichen Diskurs entwickelt – Ausdruck einer totalitären, lebensfeindlichen faschistischen Ideologie sei. Dabei stellt sich der Autor in seiner Rezeption dessen, was vorgeburtliche Diagnostik bedeute, in eine Reihe mit anderen Gesellschafts- bzw. Berufsgruppen, die ähnlich argumentieren (Vergl. Hebammen-Standpunkte Pränatale Diagnostik, Download auch auf der Homepage des Deutschen Hebammenverbandes).

Während die oben genannten Quellen die Argumentationslinie von Herrn Hüppe und Prof. Gärditz weitgehend ungefiltert wiedergeben, und, wie am Beispiel des letzten zitierten Beitrages zu sehen, dabei selbst (vermutlich) professionell ausgebildete Journalisten in wüste, krude, reflexgetriggerte Polemik abgleiten können, gibt es auch Zeitungsberichte, welche – gemäß dem römischen Rechtsprinzip "semper audiatur et altera pars – die Vorstellung des Werkes von Prof. Gärditz vorsichtigter und abwägender darstellen.

Der anonyme Autor des Artikels ""PraenaTest" auf Down-Syndrom ist illegal" in der Frankfurter Rundschau:

"Ein für Juli angekündigter neuer Bluttest zur Diagnose des Down-Syndroms bei Embryos ist einem Gutachten zufolge rechtlich unzulässig. „Der Test dient weder medizinischen noch therapeutischen Zwecken“, erklärte der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, am Donnerstag bei der Vorstellung des Rechtsgutachtens in Berlin. Dieses komme zu dem Schluss, dass der Test damit kein zulässiges Diagnosemittel laut dem Gendiagnostikgesetz sei. „Es geht beim Bluttest fast ausschließlich um die Selektion von Menschen mit Down-Syndrom“, kritisierte Hüppe. Bei dem sogenannten Praena-Test handele es sich zudem um nicht verkehrsfähiges Medizinprodukt, da es die Sicherheit und Gesundheit der Ungeborenen gezielt gefährde, geht ferner aus dem Gutachten hervor. Hüppe kritisierte, der Test diskriminiere Menschen mit dem Down-Syndrom „in der schlimmsten Form, nämlich in ihrem Recht auf Leben“. …….. Der Test kann nach Unternehmensangaben die Trisomie „risikofrei“ und „zuverlässig“ erkennen. Es sei zu befürchten, dass „die Rasterfahndung nach Menschen mit Down-Syndrom noch verstärkt wird“, erklärte Hüppe. Müttern werde eine risikoärmere Methode zur vorgeburtlichen Diagnostik vorgegaukelt. Dabei gingen nicht einmal alle Pränataldiagnostiker davon aus, dass invasive Methoden wie eine Fruchtwasseruntersuchung durch den Bluttest überflüssig würden.

Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery verteidigte hingegen den neuen Bluttest für Schwangere. „Unsere Gesellschaft hat sich für Pränatal-Diagnostik entschieden. Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen“, sagte er der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Daher sei es besser, diesen Bluttest anzuwenden, als eine mit Risiken behaftete Fruchtwasseruntersuchung vorzunehmen. …." 
(Die Quelle in der Rheinischen Post – "Ärztepräsident verteidigt Vorhaben – Empörung über Schnelltest zum Down-Syndrom" ist hier abrufbar)

Aber auch von fachjuristischer Seite gibt es Widerspruch zur gutachterlichen Einschätzung von Prof. Gärditz: Die Kieler Strafrechtsprofessorin Monika Frommel hält den PraenaTest nicht für illegal. In der Süddeutschen Zeitung heißt es im Artikel ""Rasterfahndung" nach Behinderten", aus ihrer Sicht sei der medizinische Zweck der Untersuchung sei klar gegeben – nämlich herauszufinden, ob es einen Befund gebe. Frauen hätten das Recht auf dieses Wissen, das zudem nicht immer dazu genutzt werde, ein Kind mit Down-Syndrom abzutreiben. Viele Paare wollten einfach Gewissheit, um sich auf ein Leben mit einem behinderten Kind einstellen zu können. Darüber hinaus aber hätten Schwangere nun einmal einen Rechtsanspruch auf einen medizinisch begründeten Abbruch. Auf die Frage, wie sie die jetzige Diskussion erlebe, antwortet Frau Prof Frommel: "Abtreibungsgegner vergessen gerne das Recht auf informierte Entscheidung. So kommt es immer wieder zu solchen Scheindebatten."

In der Frankfurter Rundschau wurde am Folgetag (6.7. 2012) unter "Meinung" ein Kommentar zum PraenaTest veröffentlicht. Autor ist der Ressortleiter der Redaktion für Wissenschaft und Bildung bei der Frankfurter Rundschau, Herr Karl-Heinz Karisch. In dem Artikel "Fatales Gutachten" schreibt er unter anderem:

"Seinem Ruf als moderner Don Quichotte ist Hubert Hüppe am Donnerstag voll gerecht geworden. Angeblich kämpft er als Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Tatsächlich aber führt der CDU-Politiker seit Jahren einen Glaubenskrieg gegen Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Seit langer Zeit mobilisiert Hüppe gegen die „Rasterfahndung nach Menschen mit Down-Syndrom“. Schon seine Wortwahl markiert die Richtung. …. Das am Donnerstag vorgelegte Gefälligkeitsgutachten von Klaus F. Gärditz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, verweist die Diskussion über die Zukunft der vorgeburtlichen Diagnostik ins Absurde. Er liegt mit seinem Gutachten, der neue Bluttest auf Trisomie 21 sei illegal und nach dem Gendiagnostikgesetz nicht zulässig, falsch. Gärditz setzt Medizin mit Heilung gleich, davon aber ist im Gesetz nicht die Rede.  …… Dass Gärditz zugleich die Gefährdung von Frauen und Embryos billigend in Kauf nimmt, zeigt, dass es ihm nicht wirklich um das Kindeswohl geht. Denn: Bei der Fruchtwasseruntersuchung kommt es bei 200 Entnahmen zu einem spontanen Abort. ……. Ob betroffene Frauen dann eine Abtreibung vornehmen lassen, ist eine schwierige Entscheidung, die die Gesellschaft ihnen nicht vorschreiben darf. Sowohl die vorgeburtliche Untersuchung als auch die genetische Beratung der Schwangeren sind im Gendiagnostikgesetz klug geregelt. Daran ändert das Gärditz-Gutachten nichts. Der Bluttest auf Trisomie 21 wird legal und rechtens sein, sobald er auf den Markt kommt."
 
In einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft ist es notwendig und erwünscht, daß sich eine möglichst große Zahl von Personen und Gruppierungen bei neuen Entwicklungen in eine öffentliche Diskussion einbringt. Dabei muß der Klang der Stimmen vielseitig sein und, auch dies bleibt nicht aus, gelegentlich dissonant. Will man die Diskussion reif führen und ernst genommen werden, so sollte man sich der gesellschaftlichen Rahmenregeln bewusst sein und diese achten. In unserem Gemeinwesen sind dies das Grundgesetz und die bürgerliche Rechtsordnung. Die gesetzlichen Grundlagen der Pränatalmedizin finden Sie hier. Ecksteine dieser Ordnung sind dabei neben dem Sozialgesetzbuch das Gendiagnostikgesetz und das Schwangerschaftskonfliktgesetz.
 

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