PraenaTest – Ethische Aspekte 1

by admin ~ Juni 28th, 2012. Filed under: Allgemein.

Unlängst wurden im Artikel "Was Mutters Blut verrät" in der Wochenzeitschrift "Die Zeit" die ethischen Bedenken im Zusammenhang mit der Einführung des PraenaTests dargestellt. Im gesellschaftlichen Diskurs ist die Hauptsorge, dass der PraenaTest das Tor öffnen könnte hin zu einer Entwicklung, welche geprägt wäre

– von einem gesellschaftlichem Druck auf die individuelle Schwangere, gegen ihren inneren Wunsch derartige Untersuchungen durchführen lassen zu müssen
– von der Förderung einer gesellschaftlichen Grundhaltung gegen unterschiedliche Ausprägungen menschlichen Lebens und damit generell gegen einen würdevollen Umgang der Menschen im alltäglichen Miteinander. 

Die Protagonisten dieses Diskurses in Deutschland sind die Kölner Medizinethikerin Fr. Prof. Dr. Christiane Woopen, Vorsitzende des Nationalen Ethikrates und Hr. Prof. Dr. Jochen Vollmann, Leiter des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universität Bochum. Eine in allgemeiner Sprache gehaltene, übersichtliche, sachliche und damit dem Fortkommen dieser Diskussion dienliche Zusammenfassung dieser verschiedenen Positionen wurde unlängst in der Badischen Zeitung in einem Artikel mit der Überschrift "Der durchleuchtete Embryo" veröffentlicht.

Am 22.3. 2012 fand die öffentliche Anhörung des Deutschen Ethikrates zum Thema "wissenschaftlich-technische Entwicklungen im Bereich der Multiplex- und high-throughput-Diagnostik" statt. 

Hier referierte Frau Dr. Wera Hofmann von der Firma LifeCodexx zum Thema "Nicht-invbasive molekulargenetische Pränataldiagnostik". Der Vortrag ist auf der Homepage des Dt. Ethikrates publiziert und findet sich hier.

Am 25.4. 2012 hielt Herr Prof. Dr. Eckhard Nagel, Mitglied des Deutschen Ethikrates, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen, geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth, bei der Hanns-Seidel-Stiftung in München anläßlich der Tagung "Schutz des ungeborenen Lebens im Kontext moderner pränataler Diagnostik" ein Referat mit dem Titel "Ethische und rechtliche Fragen der Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik". Der Vortrag ist auf der Homepage der Hanns-Seidel-Stiftung veröffentlicht und findet sich hier.

Am 9. und 10. Mai 2012 fanden in Frankfurt die "Deutschen Biotechnologietage" statt.

Hier referierte Herr Dr. Michael Lutz, CEO der Firma LifeCodexx zum Thema "Neue diagnostische Verfahren – Herausforderung für die Gesellschaft?". Der Vortrag ist auf der Homepage der Deutschen Biotechnologietage publiziert und findet sich hier. Eine Stellungnahme von Herrn Dr. Lutz zur aktuellen ethischen Diskussion finden Sie hier.

Die Stellungnahme von Chrismon-Das evangelische Online-Magazin finden Sie hier.

Auch innerhalb der Ärzteschaft führt die Testeinführung zur Diskussion der diesbezüglichen ethischen Fragen (Vergl. esanum-Ärzteblog). Den Artikel von Prof. Dr. Wolfram Henn im Deutschen Ärzteblatt und die Diskussion im Blog finden Sie hier.

In der Schweiz wird der neue Test ebenfalls im Kontext ethischer Fragen diskutiert (Vergl. Artikel in Familienleben.ch: "Neuer Bluttest löst Ethikdebatte aus"). Das Interview von insieme.ch, dem schweizer Pendant zur deutschen Lebenshilfe e.V. mit Fr. Dr. Judith Pok Lundquist, Mitglied der schweizerischen Nationalen Ethikkommission finden Sie hier.

Ein Beispiel der Sicht betroffener Eltern auf die Einführung des Tests finden Sie im Dowm-Syndrom-Blog.

Weitere Organisationen sowie Interessenverbände, die sich an der Diskussion beteiligen, sind

– Das DRZE – Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften
– Die Interessengemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland

Aber auch Individualpersonen bringen sich im Internet aktiv in die Diskussion ein:

Anilin Böck: Wie ein Ei dem anderen

Die Vielfalt der Stimmen in dieser Diskussion belegt, wie aktuell das Thema ist. Es berührt intensiv die philosophisch-ethischen Kernfragen danach, wodurch sich menschliches Sein auszeichnet und wie mit menschlichem Leben würdevoll umzugehen ist. Jede Neuerung ist ihrer Natur nach in der menschlichen Rezeption zunächst ambivalent besetzt; sie muß individuell und kollektiv in einen bestehenden und fortzuentwickelnden Handlungs- und Wertekanon einsortiert werden. Der gesellschaftliche Innovationsprozess "PraenaTest" in seiner Eigenschaft als ein Ausdruck sozialen Wandels und damit sozialen Lebens betritt medizinisches Neuland.

Der ordnungspolitische Rahmen, nach dessen Regeln dieses Neuland organisiert  werden soll, ist durch das 2010 verabschiedete Gendiagnostikgesetz festgelegt. Wie bei jeder anderen medizinischen Neuerung auch stellt sich sodann – jetzt –  die Aufgabe, auf Basis dieser Rahmengesetzgebung ein sozial verträgliches Regelwerk im Hinblick auf die alltägliche, konkrete Ausgestaltung unseres Umgangs mit dieser Innovation zu gestalten. Dies ist ein komplizierter und langwieriger Entscheidungsfindungsprozess und wird sich in Form einer gesellschaftlichen Lernkurve entwickeln. Dadurch, daß wir uns hier individuell und kollektiv durch unsere Wortmeldung einbringen können, ist er in unserer Gesellschaft demokratisch und dadurch – im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen – offen pluralistisch. Das letzte gestalterische, urteilende Wort, welches dieses Regelwerk eigentlich ausdefinieren wird, hat die Jurisprudenz. Dies wird durch die laufende Zivilrechtsprechung über die Klärung von Rechtsstreitigkeiten zum Thema PraenaTest (Vorwurf des ärztlichen Beratungsfehlers) erfolgen.

Insofern ist für alle Ärzte, welche diese neue Form einer Pränatalen Diagnostik anbieten, die Entwicklung adäquater, differenzierter Beratungsinstrumente für diesen Bereich essentiell.  Diese Aufgabe kann nicht individuell, sondern nur durch die Zusammenarbeit von gleich ausgerichteten Spezialisten gemeistert werden.

Wann immer eine medizinische Innovation auf den Boden eines konkreten gesellschaftlichen Bedarfs fällt, wird sie angewendet werden. Dies ist beim PraenaTest unzweifelhaft gegeben. Eine grundsätzliche Verweigerungs- oder Verbotshaltung der Gesellschaft (Vergl. Stellungnahme "Neuer Bluttest" des Netzwerkes gegen Selektion durch Pränataldiagnostik im BVMK – Berufsverband für körper-und mehrfachbehinderte Menschen, auch einsehbar auf der Homepage der Bundes ElternVereinigung-BEV), so menschlich nachvollziehbar sie auch sein mag, wäre an diesem Punkt nicht nur realitätsfremd, sondern auch kontraproduktiv. Die Konsequenz wäre die Bedienung dieses Bedarfs durch ein Ausweichen der Anbieter gemeinsam mit den Patientien ins Ausland. Dies ist im Bereich der Reproduktionsmedizin bereits geschehen (Vergl. Reineke: Fortpflanzungsfreiheit und das Verbot der Fremdeizellspende). Tagtäglich fliegen Kinderwunschpaare aus Deutschland und Österreich unter vorsätzlicher Umgehung der Rechtssprechung für spezielle, bei uns verbotene Verfahren (z.B. Fremdeizellspende) nach Valencia, Moskau, Istanbul oder Prag und tragen die dann eigetretenen Schwangerschaften hier aus.

Ein ethisches, auf Dauer nur schwer zu lösendes Dilemma wird die Frage nach prinzipiellen Verfügbarkeit des PraenaTests bleiben. Hierbei gibt es eine primär medizinische und eine ökonomisch-soziale Ebene der Betrachtung:

Die medizinische Ebene betrifft die Patientinnen mit bestehendem Verdacht auf Vorliegen eines erkrankten Kindes: Je mehr sich dieses Testverfahren medizinisch etablieren wird, desto näher wird es in seiner Aussagekraft (Präzision der Vorhersage – Testleistung – und diagnostische Breite) an die als Goldstandard fungierenden bisherigen nichtinvasiven Testverfahren (kombinerte NT-Messung) und  invasiven  Diagnoseverfahren heranrücken.  Der medizinische Nutzen des PraenaTests liegt darin, bei einem Verdacht auf Vorliegen einer fetalen (freien) Trisomie 21, der sich durch ein etabliertes Suchverfahren ergeben hat, diejenigen Fälle zu identifizieren, bei welchem das Suchverfahren (meist kombinierter NT-Test) fälschlicherweise ein auffälliges Ergebnis ausweist. Dies ist (100% – positiver Vorhersagewert des NT-Tests) in immerhin 90% der untersuchten Fälle gegeben. Zu bedenken ist hier allerdings auch, daß es beim PraenaTest-Ergebnis keine 100%ige Sicherheit bei unauffälligem Resultat gibt (Restrisiko falsch-negativer Befunde). Nach der bisherigen Lesart löst ein auffälliger NT-Test im Anschluß an eine entsprechende einvernehmliche Beratung der Patientin die Durchführung einer invasiven, dann von den Versicherungsträgern gemäß den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches V (SGB V) wirtschaftlich zu tragende Diagnostik (sog. kurativer Fall) aus. Es wird in der Zukunft versicherungsrechtlich nur schwer zu begründen sein, wieso man, wenn ein hinreichender Anfangsverdacht für das Vorliegen einer fetalen Trisomie 21 besteht, potentiell 90% der Fälle (Falsch-positiv-Rate der kombinierten NT-Messung), bei welchem der Anfangsverdacht im Rückblick unbegründet war, ohne Not einer risikobehafteten invasiven Diagnostik zuführt, wenn die Anwendung eines ergänzenden Testverfahrens dies hätte verhindern können.

Die ökonomisch-soziale Ebene betrifft mit der Disparität in der prinzipiellen Verfügbarkeit des Tests (Vergl. auch die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats 2011: Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen) die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen und damit alle Schwangeren: Dadurch, daß sich das Testverfahren in den reinen Laborkosten mit 825 Euro im hohen dreistelligen Bereich bewegt (hinzu kommen die Kosten für die humangenetische und pränatalmedizinische Beratung sowie die Kosten für die medizinisch und forensisch unerläßliche begleitende spezialisierte Ultraschalldiagnostik von ca 400 Euro), ist das Verfahren nicht für jede Schwangere bezahlbar. Ethisch problematisch ist der denkbare Fall, daß eine Patientin mit auffälligem Befund bezüglich Trisomie 21 nach NT-Messung den PraenaTest wünscht, sich diesen allerdings finanziell nicht leisten kann und bei der stattdessen durchgeführten und von der Krankenkasse getragenen Amniozentese eine Fehlgeburt erleidet.

 

 

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