Pränatalmedizin – Ethik

Die Anwendung von pränataler Diagnostik und Therapie als medizinische Maßnahme steht stets in einem engen Bezug zu den Prinzipien einer allgemeinen Ethik (Moralische Fragen nach der Begründbarkeit individuellen Verhaltens und von gesellschaftlichen Regeln im Umgang miteinander) sowie zu Kernfragen der Medizinethik.

Die Einheit von Mutter und Kind während der Schwangerschaft als biologische Besonderheit grenzt das medizinische Fach Pränatalmedizin auch in ethischer Sicht von anderen Disziplinen der Medizin ab. Damit wirft Pränatalmedizin eine Fülle von ethischen Spezialfragen auf.

Pränatale Diagnostik kann biologisch als mögliche medizinische Maßnahme erst in der Zeit nach der Embryogenese (12. bis 40. SSW) ansetzen, da die Grundvoraussetzung für eine strukturell-anatomische Analyse des Feten im Ultraschall die vollzogene Anlage und Existenz seiner Organe ist.
Sie ist sozialmedizinisch damit jenseits der Phase angesiedelt, zu welcher ein Schwangerschaftsabbruch nach der weitergefassten Fristenregelung (als Ersatz der sozialen Indikation) in Deutschland seit 1995 als rechtswidrig aber straffrei zugelassen ist. Insofern hat Pränatalmedizin – entgegen landläufiger irriger Auffassung – mit den Gesetzesregelungen der Fristenlösung (§218 a(1)) nichts zu tun. 

Verbundenheit Mutter-Kind
Pränatalmedizin befasst sich mit der Frage nach Gesundheit in der – vorgeburtlichen – Frühphase menschlichen Seins. Hier sind Mutter und Kind in einer im eigentlichen Sinne des Wortes Symbiose miteinander verbunden. Alle Entscheidungen, welche die Mutter in Bezug auf die kindliche Gesundheit trifft, haben als frühe Weichenstellung nachhaltigen Einfluß auf die weitere Biographie des ungeborenen Kindes.

Vorgeburtliche Diagnostik führt in den meisten Fällen (98%) zu einer Bestärkung der Schwangeren und Entlastung von der Sorge, das Ungeborene könne krank sein oder leiden. insoweit leistet Pränataldiagnostik einen wichtigen Beitrag dazu, dass neues, sich entwickelndes Leben angenommen wird und willkommen ist. 

Unterschiedlichkeit und Abgrenzung Mutter-Kind 
Für die wenigen Fälle, bei welchen eine fetale Störung diagnostiziert werden muß, hat die Gesellschaft auf Basis des Grundgesetzes und der christlich-abendländischen Kultur unseres Gemeinwesens in den vergangen 50 Jahren stufenweise ein differenziertes gesetzliches Regelwerk entwickelt, welches den Rahmen eines Umgangs mit dieser Situation definiert. Dieses Regelwerk ist dabei nicht unumstritten und auch nicht frei von Widersprüchen (Vergl: Rechtsstellung des Feten im deutschen GesundheitsystemPränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch). Häufig begegnet man in Diskussionen in diesem Bereich einer mangelnden Begrifflichkeit der Diskutanten bezüglich der Frage, wo Pränatalmedizin beginnt und endet.

Auswirkungen auf die Gesellschaft
Hinzu kommt eine nicht selten anzutreffende Sorge, Präntaldiagnostik könne die Diskriminierung anderer Formen menschlichen Lebens befördern (Vergl. "Pränataldiagnostik im gesellschaftlichen Kontext" von Prof. Dr. Anne Waldschmidt).

Informationelle Selbstbestimmung
Ein weiterer Aspekt, welcher der feto-maternalen Medizin in ethischer Hinsicht ebenfalls besonders charakterisiert, ist der diagnostische Schwerpunkt des Faches in Verbindung mit der hohen Innovationgeschwindigkeit, welchem das Fach unterliegt. Der Hauptmotor ist hierbei das Nachbarfach Humangenetik: Das menschliche Genom ist entschlüsselt (Vergl. Humangenomprojekt 1990-2003). Neue, hochsensitive Untersuchungsmethoden (u.a. Array-CGH, Next Generation Sequencing) ermöglichen es, immer früher, präziser und mit zunehmend weniger invasiven Methoden das individuelle Erbgut eines Feten zu analysieren.

Bereits der erwachsene Mensch ist ohne ein fein abgestimmtes Regelwerk der Gesellschaft (Vergl. Gendiagnostikgesetz, Recht auf informationelle Selbstbestimmung) und ohne die Entwicklung eines grundsätzlichen Kanons ethisch-moralischen Verhaltens im Zusammenhang mit diesen neuen Technologien gefährdet, daß die Kerninformation seiner Erbanlagen, welche ihn als Indviduum charakterisieren, potentiell unter die Kontrolle anderer Personen und Gruppen kommen könnte. Dies gilt noch viel mehr für den Fetus, welcher seine Interessen weder formulieren noch wahrnehmen kann.

 

Weiterführende Literatur zu diesen Themen finden Sie hier:

Hauptsache gesund – Elternschaft im Zeitalter der Pränataldiagnostik

Pränataldiagnostik aus sozialethischer und caritastheologischer Sicht

Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik – Das Dilemma der vorgeburtlichen Auslese

Beratung und Begleitung bei pränataler Diagnostik

Nationaler Ethikrat – Anhörungsprotokoll Genetische Diagnostik vor und während der Sschwangerschaft

Nationaler Ethikrat – Stellungnahme Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft

Chronik des §218 und der Weg zur Gründung von Donum vitae