Nicht-invasive Pränataldiagnostik – Der Patentstreit hinter den Kulissen

by admin ~ September 11th, 2012. Filed under: Allgemein.

11. September 2012

NIPD – Nicht-invasive pränatale (genetische) Diagnostik revolutioniert im Moment das Fach Pränatalmedizin. Wir sind mit einer Fülle neuer Information konfrontiert, welche unmittelbare Auswirkungen darauf hat, wie wir in naher Zukunft in unserem Fachgebiet – inhaltlich richtig und damit forensisch abgesichert – diagnostizieren und beraten werden (Vergl. ENCODE-Projekt). Diese Entwicklung in ein mehrheitsfähiges ordnungspolitisches Konzept einzubinden, welches die Interessen und Bedürfnissen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt, wird eine der großen Herausforderungen für die nationale und europäische Gesundheitspolitik in diesem Jahrzehnt werden (Vergl. CRG – Council for responsible Genetics: Übersicht NIPD, 2011)

Diese Entwicklung basiert letztlich auf der 1997 gemachten Entdeckung der Existenz von zellfreier fetaler DNA (cell-free fetal DNA, cffDNA) im mütterlichen Blut (Lo YM, Corbetta N, Chamberlain PF, Rai V, Sargent IL, Redman CW and Wainscoat JS: Presence of fetal DNA in maternal plasma and serum. Lancet 1997:350485–487). Diese macht anteilig etwa 5-10% der gesamten im mütterlichen Blut zirkulierenden zellfreien DNA aus. Die cffDNA kann einfacher als zelluläre fetale DNA isoliert und für die gleichen diagnostischen Zwecke herangezogen werden.

Technologische Grundlage hierfür ist die sogenannte DNA-Sequenzierung. Diese erfolgt heute in massiv beschleunigter Form durch den hochparallelen Einsatz des von Frederick Sanger entwickelten Sequenzierungsprinzips in Form des High Throughput Sequencings, synonym Next Generation Sequencings-NGS. Hier gibt es verschiedene Verfahren (u.a. Massively Parallel Signature Sequencing – MPSS) und unterschiedliche Anreicherungsprinzipien.

Diagnostische Verfahren, welche fußend auf diesen Prinzipien bisher zur medizinischen Marktreife gebracht wurden (In Deutschland konform mit dem Medizinproduktegesetz, CE-zertifiziert, zertifiziert nach DIN ISO 9001 und DIN ISO 13485), betreffen bisher spezifische Chromosomenanomalien (z.B. PraenaTest – Trisomie 21). Es ist abzsehen, dass bis zum Ende des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts die NIPD fähig sein wird, hochselektive genetische Störungen wie monogene Erbleiden und umgekehrt das komplette fetale Genom (!!) zu erfassen.

Vor dem Hintergrund dieses Potentials ist es nicht weiter verwunderlich, daß sich unterschiedliche Biotechnologie-Unternehmen darum bemühen, dieses sich hier herausbildende neue Segment im Gesundheitsmarkt zu besetzen und in Sinne der Marktführerschaft zu dominieren. Entscheidend ist hier, welche Firma mit welchen Verfahren welche diagnostischen Produkte zu welchem Preis anbieten wird. Aufgrund der unterschiedliche engen Koppelung von genetischen Erkrankungen an körperlichen Fehlbildungen ist für die Durchführung derartiger NIPD-Verfahren eine frühe sonographische Feindiagnostik, welche eine Nackentransparenzmessung mit einschließt, zwingende Voraussetzung. Das den jeweiligen Verfahren zugrundeliegende, noch junge Basiswissen ist dabei in der kommerziellen Verwertung für die Firmen rechtlich nicht zu schützen. Prinzipiell wird beim NGS-Next Generation Sequencing das Verfahren des Shotgun-Sequencing oder des Targeted Sequencing verwandt. Wohl aber können bestimmte praktische biotechnologische Verfahrensschritte patentgeschützt werden (Vergl. Greenpeace-Studie: "Die Grenzen ausgedehnt" und Buss/Volke: "Wissen als Ware", Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, 2001). Bei diesen Patenten handelt es sich gewissermaßen um das Tafelsilber der jeweiligen Unternehmen. Hier zeichnet sich, ähnlich der Entwicklung im Bereich der Informationstechnologie (Vergl. Rechtsstreit der Computergiganten Apple vs. Samsung), in der gegenwärtigen Pionierphase der kommerziellen Verwertung der NIPD ein harter Verdrängungs-Wettbewerb um die Nutzungsrechte an den verschiedenen hierzu nötigen Verfahren ab. 

Gegenwärtig sind auf dem NIPD-Markt die Unternehmen Sequenom, Ariosa Diagnostics, Ravgen und Verinata Health tätig. Andere Firmen und Universitäten, die sich in diesem Bereich positionieren, sind die Universität Stanford, die Firmen Fluidigm, Natera (früher: Gene Security Network) und Ikonisys.

Wie die unterschiedlichen Analysekonzepte der einzelnen Firmen differieren können, zeigt ein Beispiel: Das Bestimmungsprinzip der NIPD bei der PreNATUS-Phase III-Studie der Firma Natera ist die SNP-Analyse (vergl. SNP Genotyping – Life Technologies) mit der Mikroarray-Technologie (Vergl. Flash-Animation DNA-Microarray Methodology) als zentraler Verfahrensschritt des Grundprinzips der NGS-Variante des Targeted Sequencing

Im Januar 2012 eröffnete die Fa. Sequenom einen Patentstreit mit den konkurrierenden Firmen Ariosa (Sequenom v. Aria Diagnostics Inc., 12-cv-0189 , U.S. District Court, Southern District of California (San Diego)) und Natera (Sequenom Inc. v. Natera Inc., 12-cv-0184, U.S. District Court, Southern District of California (San Diego)). In der Klageschrift wurde beiden Firmen vorgeworfen, sie hätten gegen das "540 Patent" (US-Patent Nr. 6.258.540) verstossen. Das "540 Patent" stammt von Isis Ltd. und wird im Jahre 2017 auslaufen.

Zwischenzeitlich haben die Firma Verinata Health und die Stanford Universität ihrerseits die Frima Sequenom in einem Disput über die "Quake Patente"  (namentlich Quake Patent 018 und Quake Patent 017) verklagt. Die Universität Stanford ist Inhaber der Quake Patente und der dazugehörigen Lizensierungsrechte. Verinata ist der exklusive Lizenznehmer.

Eine Übersicht der jüngst erteilten Patente im Zusammenhang mit PCR und Nukleinsäurenamplifikation findet sich bei Genomeweb-IP-Watch.

Im April 2012 erwarb Sequenom zwei anhängige Patente von Helicos Biosciences Corp. zum Preis von 1,3 Mio USD (Link Kaufvertrag). Diese Patent-Anträge (Patent-Applikations-Nummer 12/709 057 und 12/727 824) behandeln Methoden zur Detektion fetaler Nukleinsäuren und zur Diagnose fetaler Anomalien. Es wird erwartet, daß der Hinzukauf dieser Patente das Patent-Portfolio und damit die Marktposition von Sequenom stärken wird.

Im Juli 2012 lehnte ein US-Bezirksgericht die Unterlassungsklage der Firma Sequenom gegen Ariosa Diagnostics ab (Vergl. Link Prnewswire, vergl. Link Pathologyblawg).

In Europa besteht eine Lizenzvereinbarung zwischen Sequenom und der Firma LifeCodexx. Die beiden Firmen kamen überein, einen marktfähigen Test auf Trisomie 21 und andere Aneuploidien für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Lichtenstein mit der Option der Markteinführung in anderen europäischen Ländern zu entwickeln. Unter dem Schirm der initialen Fünfjahresübereinkunft besitzt LifeCodexx den rechtlichen Zugang zu Schlüsselpatenten einschließlich dem Europäischen Patent EP0994963B1 und dem beantragten Patent EP2183693A1. Diese ermöglichen die Entwicklung und Kommerzialisierung eines nichtinvasiven Aneuploidietests unter Nutzung von zirkulierender zellfreien fetalen DNA im mütterlichen Plasma.

 

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