Epigenetik und Ernährung – Folgenreiche Fehlprogrammierung

by admin ~ Oktober 6th, 2012. Filed under: Allgemein.

In den letzten Jahren konnte wissenschaftlich belegt werden, daß das individuelle Genom durchaus nicht als unverrückbarer Urcode der Stoffwechselaktivität aller Zellen eines Menschen zu betrachten ist. Vielmehr scheinen die Gene eines Menschen in komplexer Weise dynamisch mit der Umwelt zu interagieren. Hierdurch können sie vielfältig modifiziert werden:

Umweltfaktoren können offenbar als auf die Gene rückwirkende, kybernetische Einflussgrößen fungieren, welche wie Schalter selektiv Gene an- oder abschalten. Damit wird das individuelle Genom in Abhängigkeit von Umweltreizen (re-) programmiert. Dieses Teilgebiet der Genetik wird "Epigenetik" genannt. Sie erforscht die molekularen Strukturen, die sich in der Nähe von Genen befinden und als zweiter Code über dem Genom liegen. Derzeit sind drei zentrale epigenetische Mechanismen (=Schalter) für die selektive Aktivierung bzw. Blockade von menschlichen Genen bekannt (Vergl. Artikel von Vera Zylka-Menhorn: Das Epigenom: Der Dompteur der Gene, Dt. Ärzteblatt 2012; 109(20): A-1027). 

Die Epigenomforschung steht am Anfang ihrer Entwicklung. Sie findet international vernetzt und damit koordiniert statt (IHEC-International Human Epigenome Consortium und HEP-Human Epigenome Project). Das ambitionierte Ziel der Forscher ist es hier, unter Verwendung einheitlicher Standards 1000 Epigenome zu entschlüsseln. Dabei haben sich die 21 hieran beteiligten deutschen Forschergruppen in dem im September 2012 gestarteten DEEPDeutschen Epigenom-Programm zusammengeschlossen, um 70 Epigenome menschlicher Zelltypen zu entschlüsseln. Inhaltlich liegt der Fokus der deutschen Forschungsgruppen auf der Entschlüsselung von Zellen, die bei Adipositas, etnzündlichen Darmerkrankungen und Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielen (Vergl. Artikel von Vera Zylka-Menhorn: Epigenomforschung: Nationales Programm gestartet, Dt. Ärzteblatt 2012; 109(40): A-1960).

Besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis,

– daß durch die epigenetische Programmierung von Säugetierzellen diese ihre Funktion dauerhaft verändern und daß diese Zellen epigenetische Strukturen an ihre Tochterzellen weitergeben. Hierdurch kann eine früh erworbene Zelleigenschaft bis ins hohe Alter erhalten bleiben.
– daß der Mensch besonders sensibel auf Umwelteinflüsse in der Phase der Organreifung reagiert (d.h. im Mutterleib, nach der Geburt und in den ersten postnatalen Lebensjahren). Damit kommt den Lebensgewohnheiten der Mutter, welche in ihrer Summe die Umwelt des Feten und des Säuglings definieren, eine zentrale Bedeutung zu: Sie steuern den Aktivitätsgrad fetaler Gene. Damit werden entscheidende Weichen für spätere Gesundheit und Krankheit gelegt.

In dem Artikel "Folgenreiche Fehlprogrammierung" (Dt. Ärzteblatt, 109(40): A-1986) beschreibt die Autorin Dorothee Hahne den aktuellen Kenntnisstand zu der Frage, welche Folgen mütterliche Überernährung mit der Folge von Adipositas und Gestationsdiabetes (Vergl. Embryofetopathia diabetica) auf den Feten hat. Beide Faktoren verdoppeln das Risiko für die Entwicklung einer fetalen Makrosomie. Makrosomie ist in diesem Zusammenhang nicht nur als vorübergehendes geburtshilfliches Problem zu betrachten, sondern es ist darüberhinaus ein sicheres Zeichen für eine metabolische Fehlprogrammierung des Feten: Es führt zu einer Verdoppelung des Risikos, im späteren Leben übergewichtig zu werden. Nachgewiesen wurde, daß durch die epigenetische Fehlprogrammierung auf Dauer die Zellzahl und Aktivität orexigener Regelzentren im Gehirn ansteigt, derweil die Zellzahl und Expression der antiorexigenen Zentren dauerhaft supprimiert werden. Ein wesentlicher epigenetischer Mechanismus ist dabei die Hemmung des Sättungungshormons Proopiomelanocortin (POMC) durch Hypermethylierung des Promotors der POMC-Gens im Bereich aktivierender Trankriptionsfaktor-Bindungsstellen: Die Erbsubstanz kann an dieser Stelle nicht abgelesen werden, es wird weniger POMC gebildet.

Hieraus lassen sich einfache praktische Rückschlüsse hin zu präventiven Empfehlungen für Schwangere ziehen:  
– Vermeidung von Überernährung in der Schwangerschaft (nicht mehr als 200-300 kcal/Tag im 2. und 3. Trimenon aufnehmen)
– Nutzung des Glucosetoleranscreenings (Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien)
Stillen (senkt Adipositas-Risiko um ein Drittel, vermuteter Mechanismus: Weniger Proteine in Muttermilch)

Diesen Empfehlungen zugrunde liegt die "frühe Protein-Hypothese". Diese geht davon aus, daß mit einer höheren Proteinzufuhr die Konzentration bestimmter Aminosäuren im fetalen Blutplasma steigt. Diese steigern wiederum die Insulinausschüttung und Adipozyten-Differenzierung. Gestützt wird diese Hypothese durch die Ergebnisse des European Childhood Obesity Projects in einer 2010 veröffentichten randomisierten klinischen Doppelblindstudie der ECOG-European Childhood Obesity Group mit dem Titel "Frühkindliche Ernährung und späteres Adipositasrisiko".

 

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