Pränatalmedizin – Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen

Die generelle Entwicklung des Faches Pränatalmedizin geht hin zu einer immer früher ansetzenden, zunehmend differenzierten und präzisen genetischen, morphologischen und funktionellen Diagnostik. Diese speist sich aus zwei Quellen:

– Den bahnbrechenden Entwicklungen in der Molekulargenetik in den letzten 20 Jahren, insbesondere nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms Anfang der 2000er Jahre
– Der intensiven Beschäftigung mit Fetalpathologie am Ende des ersten Trimenons (11 bis 14 SSW)

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Fortschritte in der genetischen Diagnostik: Neue molekulargenetische Diagnoseverfahren

Array-CGH

Mittels der Microarray-basierten komparativen genomische Hybridisierung (Array-CGH oder Matrix-CGH) lassen sich Chromosomenveränderungen nachweisen, die so klein sind, dass sie in der konventionellen Chromosomenanalyse nicht mehr erkannt werden können. Dabei werden Chromosomenstückverluste (Deletionen) und -hinzugewinne (Duplikationen) genomweit detektiert. 

Die Methode der Array-CGH wurde 1997 von Solinas-Toldo et al. am DKFZ in Heidelberg entwickelt. Die Array-CGH ist eine Weiterentwicklung der vergleichenden Genomhybridisierung (konventionelle CGH) und ermöglicht den Nachweis von Verlusten und Gewinnen an der genomischen DNA. Gegen ein Raster von immobilisierten DNA-Fragmenten (Matrix oder DNA-Chip) wird eine vergleichende genomische Hybridisierung durchgeführt und das Verhältnis der Fluoreszenzsignale der Patienten- und Referenz-DNA bestimmt.

Die Array-CGH Methode wird in der Pränatalmedizin als Ergänzung zum Methodenspektrum der klassischen Zytogenetik dann eingesetzt, wenn ein fetales Fehlbildungssyndrom mit dringendem Verdacht auf ein zugrundeliegendes genetisches Muster nachgewiesen wurde und die klassische Zytogenetik einen unauffälligen Befund erbracht hat: Solche Mikroaberrationen treten recht häufig auf. Einige Mikroaberrations-Syndrome sind relativ häufig und sehr gut beschrieben, wie zum Beispiel das DiGeorge-Syndrom oder das Williams-Beuren-Syndrom. 

MLPA – Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification

Mit der MLPA lassen sich anhand kleinster DNA-Mengen größere Dosisunterschiede an einem zuvor definierten Ort im Genom nachweisen. Dazu zählen Deletionen/Duplikationen einzelner Genabschnitte (Exons), bzw. ganzer Gene. Dieses gendiagnostische Verfahren erlaubt daher ein Screening auf heterozygot vorliegende Punktmutationen sowie Deletionen oder Amplifikationen in krankheitsspezifischen Genen (z.B. Muskeldystrophie, Mammakarzinom, Leukämie, Syndromdiagnostik).

Dabei wird ein Sondenpaar (»MLPA-Probes«) an die Template-DNA hybridisiert. Ihre Sequenzen sind so gewählt, dass sie direkt nebeneinander zu liegen kommen und daher von einer thermostabilen Ligase verknüpft werden können. In einem zweiten Schritt werden die ligierten Sondenpaare dann per PCR amplifiziert. Ist die Zielsequenz mutiert, können sich die Sondenpaare nicht zusammenlagern und es entsteht kein PCR-Produkt. Die Amplifikationsprodukte werden der Größe nach getrennt. Dosisunterschiede sind durch Reduktion oder Vergrößerung der Peakhöhen oder Peakflächen erkennbar. In nur einem Ansatz lassen sich auf diese Weise in einer relativen, quantitativen Darstellung bis zu 45 Gene gleichzeitig screenen. Ein quantitativer Vergleich mit einem Kontroll-Template zeigt heterozygote Mutationen an. Mittlerweile sind mehr als 100 MLPA-Kits zur Detektion von Deletionen/Duplikationen einzelner Exons von Genen, Genbereichen, ganzer Gene, Chromosomenbereiche und ganzer Chromosomen kommerziell verfügbar.

Die MLPA wird in der Pränatalmedizin als Ergänzung zum Methodenspektrum der klassischen Zytogenetik dann eingesetzt, wenn nach heterozygot vorliegende Punktmutationen, Deletionen oder Amplifikationen in krankheitsspezifischen Genen (z.B. Muskeldystrophie, UPD-uniparentale Disomie) in familiären Risikosituationen gefahndet werden soll.

NIPT / NIPD – Fetale Gendiagnostik durch Sequenzierung zellfreier fetaler DNA aus mütterlichem Blut

Im Jahr 1997 wurde erstmals eine Methode beschrieben, wie kindliche Erbininformation in Form von zellfreier fetaler DNA-Fragmente (cffDNA) im mütterlichen Blut bereits ab der 4. Schwangerschaftswoche (SSW) nachgewiesen werden kann. Die exponentiell steigende Rechenleistung von computergestützten molekulargenetischen Analysesystemen war Voraussetzung dafür, dass in den 2000er Jahren in diesem Feld neue, hochempfindliche Verfahren zur Bestimmung von cffDNA entwickelt werden konnten (2008: NGS-Next Generation Sequencing, MPSS-Massively Parallel Signature Sequencing). Hierdurch wurde es möglich, ein Testverfahren zu entwickeln, welches aus einer Probe mütterlichen Bluts das Vorliegen der häufigsten Formen des Down-, Edwards- und Pätau-Syndroms sowie des Ullrich-Turner-Syndroms (freie Trisomie 21,18, 13, Monosomie X) mit einer sehr hohen Genauigkeit (Accuracy) vorhersagt. Als Oberbegriff für dieses Testprinzip wurde der Terminus Nichtinvasive Pränataldiagnostik (NIPD) bzw. Nichtinvasive Pränataltestung (NIPT) gewählt. Seit 2012 werden in Deutschland diese Testverfahren kommerziell angeboten. Die Indikation für die Testdurchführung ist ein auffälliger klassischer Suchtest (z.B. kombinierter NT-Test nach Nicolaides) mit auffälligem Testergebnis: Hier vermag es die NIPT, die Falsch-Positiv-Rate des NT-Tests von 5% auf um den Faktor 25 bis 50 zu senken: Dies hat eine nachhaltige Senkung unnötiger invasiver Prozeduren zur Folge.

Einen guten Einblick in die verschiedenen molekulargenetischen Methoden eines genetischen Labors findet sich auf der Homepage des Zentrums für Humangenetik Mannheim. Ein Glossar der genetischen Fachausdrücke finden Sie hier.

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Entwicklung der sonographischen Diagnostik: Vorverlegung, frühe Risikostratefizierung

Ausgangspunkt war hierfür die Erkenntnis Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre, daß eine erhöhte fetale Nackentransparenz (NT) in diesem Zeitfenster mit einer erhöhten Aneuploidiewahrscheinlichkeit verbunden ist. Diese Erkenntnis wurde zu einem strukturierten Suchkonzept zur Detektion fetaler Aneuploidien weiterentwickelt (Kombinierter Nackentransparenztest nach Nicolaides) und Anfang der 2000er Jahre als praktische pränataldiagnostische Anwendung in die Klinische Medizin eingeführt. Dies öffnete gemeinsam mit der stetigen Verbesserung der verfügbaren Ultraschalltechnologie das Tor hin zur Etablierung des Feldes der speziellen Fehlbildungsdiagnostik am Ende des ersten Trimenons. Denn: Die erhöhte NT  war als ein pathologisches Ultraschallsymptom nur der Beginn einer Vielzahl weiterer pathologischer Ultraschallzeichen und – marker, welcher in der Folgezeit entdeckt wurden. Im Endeffekt ist es in den 2000er Jahren gelungen, ein sehr differenziertes Verständnis zu physiologischen und pathologischen fetalen Zustandsbildern am Ende des ersten Trimenons zu erlangen.

Folge hiervon ist, daß in den 2010er Jahren der generelle Fokus der Pränataldiagnostik als praktische klinische Anwendung sich vom zweiten Trimenon (19.-22. SSW) immer mehr auf das späte erste Trimenon hinbewegt. Dies betrifft neben der Aneuploidie- und Fehlbildungsdiagnostik alle weiteren Bereiche der fetomaternalen Medizin. Dieseser Paradigmenwechsel wird unter dem Begriff "Turning the Pyramid of Care" zusammengefasst. Ziel ist es hierbei fußend auf anamnestischen Daten, maternalen klinischen Befunden in der jetzigen Schwangerschaft und fetalen (sonographischen und biochemischen) Faktoren Wahrscheinlichkeiten ein indivdualisiertes Risikoprofil zu erstellen für den Eintritt bzw. das Erleben der wichtigsten fetalen bzw. fetomaternalen Pathologien, namentlich einer/eines

  • fetalen Aneuploidie (ursprüngliches Nicolaides-Konzept)
  • Fehlgeburt zwischen 12 und 24 SSW
  • fetalen Wachstumsrestriktion ab 24 SSW
  • fetalen Makrosomie ab 24 SSW
  • maternalen Präeklampsie ab 24 SSW
  • (maternalen) Gestationsdiabetes ab 24 SSW
  • Frühgeburt vor 35 SSW