Einführung Pränatalmedizin

Pränatalmedizin ist eine junge, sich schnell fortentwickelnde Subspezialität des Faches Frauenheilkunde. Sie befasst sich mit allen Aspekten vorgeburtlicher Gesundheit eines sich im Mutterleib entwickelnden neuen menschlichen Lebens. Jede Form einer diagnostischen oder therapeutischen Prozedur in diesem Bereich besitzt in Anbetracht des Umstandes, daß sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt eines individuellen Lebens ansetzt, ein nachhaltiges Potential. Dabei werden zwangsläufig immer neben der Betrachtung des Feten oder Embryos auch gesundheitliche und soziale Aspekte der Mutter tangiert. Diese sind ihrerseits in einen sich fortwährend weiterentwickelnden gesellschaftlichen Rahmen (SozialgesetzgebungRechtsprechung, Gesundheitspolitik, Ordnungspolitik) eingebunden.

Entsprechend komplex sind die Schnittmengen zu medizinischen Nachbardisziplinen. In einer prospektiven Betrachtung ist ein enger klinischer Schulterschluß mit pädiatrischen Spezialfächern (Neonatologie, Kinderkardiologie, Kindernephrologie, Kinderneurologie) notwendig. In jüngster Zeit treten moderne radiologisch-diagnostische Verfahren (Fetal-MRT) zunehmend der etablierten vorgeburtlichen Ultraschalldiagnostik an die Seite. Die systemisch-internistische und topische fetale Therapie (minimal-invasiv wie Laserverfahren, fetale Transfusionen sowie endoskopisch-chirurgische und offen chirurgische Prozeduren) hat in den letzten 10 Jahren bedeutsame Fortschritte erlebt. 

Noch weitaus mehr wird die Pränatalmedizin durch die retrospektive Sicht auf fetale Gesundheit im Bemühen um das Verständnis einer Krankheitskausalität und Pathophysiologie geformt und geprägt. Im Zentrum stehen dabei die Fragen: Welche biologischen Mechanismen haben den augenblicklichen fetalen Gesundheitszustand verursacht? Und: Können im gegebenen Fall Konzepte einer primären oder sekundären Prävention entwickelt werden? Hier besteht eine immer größer werdende Schnittmenge zum Fachgebiet der Klinischen Genetik, aber auch zur genetischen und reproduktionsmedizinischen Grundlagenforschung bzw. der Translationalen Medizin.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Pränatalmedizin in der Ein-Kind-Gesellschaft mit ihrem fragwürdigen Anspruch einer wie auch immer als solche verstandenen menschlichen Perfektion ist hoch. Infolgedessen ist die Pränatalmedizin als medizinisches, am Anfang eines Lebens angesiedeltes Fach einer intensiven, fortdauernden gesellschaftlichen Diskussion unterworfen.

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Stellung der Pränatalmedizin in der deutschen Gesundheitsversorgung:
Der "Gemeinsame Bundesausschuß (G-BA, GEMBA)" ist das höchste Gremium in der Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens. Er ist als eigenständige juristische Person des öffentlichen Rechts Organ der mittelbaren Staatsverwaltung und zuständig für die Definition und Fortentwicklung der medizinischen und gesundheitsökomischen Standards. Der G-BA erfüllt seine Aufgaben dadurch, daß er medizinische Richtlinien beschließt und aktualisiert. Für den Bereich der Gesundheitsversorgung in der Schwangerschaft hat der G-BA die sogenannten "Mutterschafts-Richtlinien" erlassen. Hier wird auch die Art und der Umfang einer vorgeburtlichen fetalen Diagnostik und ggf. Therapie definiert. Hierzu zählt als als eine von einem ganzen Katalog von Maßnahmen auch die Anwendung der vorgeburtlichen Ultraschalldiagnostik.  

Dabei ist eine "Ultraschall-Screening" genannte Basis-Ultraschalluntersuchung um die 10., 20. und 30. Schwangerschaftswoche (SSW) vorgesehen, welche nach alter Lesart "durchgeführt", nach neuer Lesart der Schwangeren nur noch "angeboten"werden soll. Diese Untersuchungen dienen der Überwachung einer normal verlaufenden Schwangerschaft mit dem Ziel der genauen Bestimmung des Gestationsalters, der Kontrolle der somatischen Entwicklung des Feten, der Suche nach auffälligen fetalen Merkmalen und dem frühzeitigen Erkennen von Mehrlingsschwangerschaften.

Zum 1.7. 2013 trat eine Überarbeitung des sonographischen Teils der Mutterschaftsrichtlinien in Kraft: Die neuen Bestimmungen zum Ultraschallscreening in den Mutterschaftsrichtlinien (Vergl. aktualisierte Mutterschaftsrichtlinien, Entwurfsversion vor Veröffentlichung)  sehen u.a. vor, dass zusätzlich zu den bisherigen Basisinhalten des Ultraschallscreenings im zweiten Trimenon die Option zur Durchführung einer erweiterten Ultraschalluntersuchung der Schwangeren angeboten werden soll. Die zu beurteilenden Strukturen werden im Einzelnen genannt.

Wenn sich aus diesen Screening-Ultraschalluntersuchungen (sie werden von jedem die primäre Schwangerenbetreuung durchführenden Frauenarzt durchgeführt) die Notwendigkeit zu einer weiterführenden sonographischen Diagnostik, so wird diese durch den in der pränatalen Diagnostik spezialisierten Facharzt "dem Pränatalmediziner") durchgeführt. Dise Diagnostik ist dann ebenfalls Bestandteil der Mutterschaftsvorsorge, aber nicht mehr des Screenings.

Diese bedeutet: Pränatalmedizin als gezielte diagnostische oder therapeutische Maßnahme kommt – entgegen einer häufigen fälschlichen Meinung – nicht in der primären Schwangerschaftsvorsorge, sondern nur im Bedarfs- oder Sonderfall zur Anwendung!

Während der G-BA medizinische und gesundheitsökonomische Standards als juristische Person des öffentlichen Rechts definiert und weiterentwickelt, sind die Ärztekammern (ÄK) und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) der Länder mit der Umsetzung und Sicherstellung dieser medizinischen Versorgung im Alltag beauftragt. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts nehmen sie dabei durch diese Umsetzung staatshoheitlicher Aufgaben ein für die nachgeordneten Gruppen (Ärzteschaft) rechtsverbindliches ordnungspolitisches Mandat wahr. Die Landesärztekammer definiert und überwacht die dabei die Qualitätsanforderungen an die (fach)ärztliche Weiterbildung und Fortbildung (Kernfrage: Wer kann und wer darf welche medizinische Maßnahmen durchführen?).  Die Kassenärztliche Vereinigung ist für die Sicherstellung der ambulanten kassenärztlichen Versorgung zuständig (Kernfrage: Wer darf in der ambulanten Versorgung welche Maßnahmen anwenden und abrechnen?). Auch diese Organe erlassen – als Handlungsvorschrift mit rechtlich bindendem Charakter unterhalb des Gesetzesniveaus – medizinische Richtlinien. Für den Bereich Pränatalmedizin bedeutsam sind dabei die Bundesärztekammer – "Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen". In ihr werden insbesondere Art und Umfang der Beratung von Schwangeren vor und nach Inanspruchnahme einer gezielten pränatalen Diagnostik, Indikation und Durchführung nichtinvasiver und invasiver pränatalmedizinischer Untersuchungsverfahren geregelt.

Im Gegensatz zum G-BA, ÄK und KV besitzen medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften kein ordnungspolitisches Mandat im Hinblick auf die Definition einer Strukturqualität oder die Umsetzung einer Prozeß(Versorgungs-)qualität im Gesundheitswesen. Folglich sind sie den sogenannten privatrechtliche Körperschaften zuzuordnen, die in der Form des "eingetragenen Vereins (e.V.)"  nach §§ 21ff. BGB organisiert sind. Dennoch besitzen sie eine wichtige Funktion: Sie erfassen, bewerten und strukturieren in wissenschaftlicher Form medizinische Neuerungen und fachliche Weiterentwicklungen. Dadurch üben ihre Vertreter – häufig in offizieller Beratungsfunktion – einen indirekten Einfluß auf die Entwicklung und inhaltliche Ausgestaltung der Regularien von Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen aus. Für die Pränatalmedizin bedeutsame wissenschaftliche Fachgesellschaften sind in Deutschland die DEGUM-Dt. Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e.V., die DGGG-Dt. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. und die DGPM-Dt. Gesellschaft für Perinatale Medizin e.V.

Auch medizinische Fachgesellschaften erlassen "Richtlinien" und "Leitlinien" genannte fachgebundene Handlungsanweisungen und definieren so fach- bzw. themengebundene Standards und damit eine Qualität medizinischen Handelns. Die medizinischen Fachgesellschaften sind in der Dachorganisation AWMF-Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. zusammengefasst. Diese bündelt und editiert (AWMF online-Leitlinien) die Leitlinien auch der gynäkologischen Fachgesellschaften.

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Geschichte der Ultraschalldiagnostik und Pränatalmedizin:
Eine exzellente Darstellung zur Entwicklung des Ultraschalls allgemein und in der Geburtshilfe-Pränatalmedizin finden Sie von Joseph Woo auf unter dem Titel "A short history of the development of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology". 

Eine ebenfalls besuchenswerte deutschsprachige Seite zu diesem Thema ist der Internatnauftritt des Ultraschallmuseums der DEGUM. Dort finden Sie neben sonstigen Informationen auch eine Darstellung zur "Geschichte der Ultraschalldiagnostik" und  eine multimediale Präsentation zum gleichen Thema. Räumlich-physikalisch findet sich das Ultraschallmuseum dem Deutschen Röntgenmuseum in Remschied-Lennep angegliedert.

 

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Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt unter "Pränataldiagnostik – Ein Angebot für Fachkräfte aus Medizin und Beratung"  eine Fülle von Informationen zu medizinischen Aspekten und zur psychosozialen Beratung im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik zur Verfügung. Die Seite ist für die Bereiche "Online-Handbuch Pränataldiagnostik" und Videos zur Pränataldiagnostik anmeldungspflichtig.