Organscreening – Umdeutung eines alten Begriffes der Ultraschalldiagnostik

by admin ~ März 15th, 2013. Filed under: Allgemein, Frauenheilkunde, Geburtshilfe, Genetik, Pränatalmedizin, Sonographie, Ultraschall.

Die neuen Bestimmungen zum Ultraschallscreening in den Mutterschaftsrichtlinien (Vergl. aktualisierte Mutterschaftsrichtlinien, Entwurfsversion vor Veröffentlichung)  sehen u.a. vor, dass zusätzlich zu den bisherigen Basisinhalten des Ultraschallscreenings im zweiten Trimenon die Option zur Durchführung einer erweiterten Ultraschalluntersuchung der Schwangeren angeboten werden soll. Die zu beurteilenden Strukturen werden im Einzelnen genannt. Sie umfassen zusätzlich zu den vorgegebenen Untersuchungsinhalten der fetalen Wachstums- und Entwicklungskontrolle (Biometrie) die Beurteilung der folgenden fetalen Strukturen:

Kopf: 
−  Ventrikelauffälligkeiten ja/nein
−  Auffälligkeiten der Kopfform ja/nein
−  Darstellbarkeit des Kleinhirns ja/nein

Hals und Rücken:
– Unregelmäßigkeit der dorsalen Hautkontur ja/nein

Thorax:
− Auffällige Herz/Thorax-Relation ja/nein
− Linksseitige Herzposition ja/nein
− Persistierende Arrhythmie im Untersuchungszeitraum ja/nein
− Darstellbarkeit des Vier-Kammer-Blicks ja/nein

Rumpf:
− Konturunterbrechung an der vorderen Bauchwand ja/nein
− Darstellbarkeit des Magens im linken Oberbauch ja/nein
− Darstellbarkeit der Harnblase ja/nein

Als Dokumentation wird neben der üblichen Biometrie lediglich gefordert: "Bilddokumentation der Auffälligkeiten." Ärzte, welche die erweiterte Ultraschalluntersuchung durchführen, müssen gegenüber ihrer Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen, dass sie die fachliche Qualifikation dafür besitzen (Vergl. Online-Ultraschall-Fachwissensprüfung durch die KVen). Benannt wird diese Untersuchung in den Mutterschaftsrichtlinien: "Sonografie mit Biometrie und systematischer Untersuchung der fetalen Morphologie durch einen besonders qualifizierten Untersucher."

Dieser neue Ultraschalluntersuchung wurde von den berufsständischen Vertretern der Frauenärzte eilends mit dem handlichen Begriff "Organscreening" belegt (Vergl. Grußwort Dr. C. Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte und Dr. W. Harlfinger, Kongresspräsident zum FOKO – Fortbildungskongress 2011). Gleichzeitig wird allerdings betont, dass es "nicht um eine exakte Diagnosestellung" geht (Vergl. Einladung Dr. Klaus König, 2. Vorsitzender des Berufsverbandes der Frauenärzte vom 17.10. 2011 zur Fortbildung "Einführung in das 2. Ultraschallscreening"). Diese Aussage ist bemerkenswert, weil eine Ja/Nein-Stellungnahme zur Frage nach Hirnventrikelauffälligkeiten (= Ausschluss Hydrocephalus), Unregelmäßigkeit der dorsalen Hautkontur (= Ausschluss Spina bifida), Konturunterbrechung an der vorderen Bauchwand (= Ausschluss Omphalocele und Gastroschisis) bei Beantwortung dieser Fragen mit "Nein" sehr wohl eine verbindliche Festlegung im Sinne eines umschriebenen Fehlbildungsausschlusses bedeutet. Auch definiert wurde, dass diese Untersuchung nicht unter die Bestimmungen des Gendiagnostikgesetzes fällt.

Wenngleich diese Wortwahl einfach und griffig ist, so führt sie – besonders bei den Schwangeren – zur Verwirrung:

Der Begriff Organscreening ist nicht neu. Vielmehr wird er seit Jahrzehnten in der vorgeburtlichen Ultraschalldiagnostik für die auch als "Feinscreening", Feinultraschall", "Organultraschall", "hochauflösende Ultraschalldiagnostik" oder auch "sonographischer Fehlbildungsausschluss" genannte spezielle sonographische Fehlbildungsdiagnostik gleichbedeutend verwendet. Diese erfolgt durch einen in einem Ultraschallzentrum gezielt ausgebildeten Ultraschallspezialisten, welcher über eine umfangreiche Kenntnis in der Erfassung, differenzierten Zuordnung von fetalen Fehlbildungen besitzt und in der weiteren Betreuung von Schwangeren mit einem fehlgebildeten Kind entsprechend geschult und erfahren ist.

Insofern ist diese Begriffsumdeutung unglücklich gewählt. Vielmehr sind hier klar voneinander zu trennen:

1. Die erweiterte Basis-Ultraschalluntersuchung laut Mutterschaftsrichtlinien (Vergl. FAZ-Artikel: "Pränatalmedizin: Ein fragwürdiger Komopromiss für Mütter") wird von niedergelassenen Frauenärzten als erweitertes Suchverfahren der ersten Linie in der normalen Schwangerenvorsorge angeboten. Neu ist hierbei, daß fetale Organsysteme strukturiert beurteilt werden und hierzu eine verbindliche Stellungnahme durch den Frauenarzt erfolgt. Da die Selbstverwaltungsorgane des Gesundheitswesens diesem Versorgungsanspruch der gesetzlich versicherten Schwangeren keine spezielle Leistungs- bzw. Vergütungsziffer zugeordnet haben, ist der sie durchführende Frauenarzt gezwungen, diese Leistung privatärztlich abzurechnen. Die Schwangere kann diese Rechnung sodann bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse einreichen.

2. Die spezielle fetale Fehlbildungsdiagnostik ist ein gezieltes sonographisches Diagnoseverfahren, bei welchem durch einen in der Pränatalmedizin erfahrenen Ultraschallspezialisten mit einem hochauflösenden Ultraschallgerät eine systematische Analyse der fetalen Anatomie durchführt. Die Untersuchung erfolgt auf Überweisung durch den Frauenarzt, welcher die normale Schwangerenvorsorge durchführt, als gezielte Ausschlußdiagnostik bei erhöhtem Risiko für Fehlbildungen oder Erkrankungen des Fetus aufgrund von

a) ultraschalldiagnostischen Hinweisen
b) laborchemischen Befunden
c) genetisch bedingten oder familiär gehäuften Erkrankungen oder Fehlbildungen in der Familienanamnese
d) teratogenen Noxen

oder als Alternative zur invasiven pränatalen Diagnostik. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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