FOKO-Düsseldorf Kurs: Rationale Pränataldiagnostik im 1. Trimenon – Zusammenfassung und Download

Der jährlich vom BVFBerufsverband der Frauenärzte jeweils Anfang März im CCD Düsseldorf ausgerichtete FOKO-Fortbildungskongress hat sich in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum zu einer der zentralen Fortbildungsveranstaltungen für das Fach Frauenheilkunde entwickelt. Er fand 2017 vom 9. bis zum 11. März statt (FOKO 2017_Programm zum Download hier) .

Der "Pränataldiagnostik im 1. Trimenon" betitelte Kurs 22 befasste sich mit dem Thema der 

  • rationalen, epidemiologisch fundierten, klar verständlichen und dennoch differenzierten Beratung der Schwangeren vor nicht-invasiver bzw. invasiver Pränataldiagnostik am Ende des ersten Trimenons und der
  • klaren Interpretation der erhobenen ärztlichen Befunde 

Es entwickelte sich hierbei eine lebhafte, engagierte Diskussion. Auf Wunsch der Teilnehmer/innen stelle ich die Präsentation zur freien Weiternutzung (Download als PDF hier) an dieser Stelle ins Netz. Eine rege Inanspruchanhme dieses Angebotes würde mich sehr freuen.

Die Kernbotschaften dieses Fortbildungskurses lauten:

1. Die Ergebnisse der beiden Suchtestverfahren "Nackentransparenzmessung (= NT-Test)" und "(neue) nichtinvasive Pränataltests-NIPT" – hierzu zählen PraenaTest, Pränatalistest, Panoramatest, Harmonytest sind in ihrer Aussage nicht austauschbar, da sie zu unterschiedlichen Bereichen fetaler Gesundheit in Form einer statistischen Wahrscheinlichkeits-Berechnung – nicht Diagnose – Stellung beziehen. Dies sollte vor der Testanwendung allen Beteiligten klar sein

2. Die Natur regelt fetale Pathologien bis zur 12. SSW in den allermeisten Fällen selbst (-> natürliche, unvermeidbare Fehlgeburtsrate). Allein schon aus diesem Grund macht die Anwendung von NT-Test und NIPT erst ab dann Sinn.

3. Ein weiterer Aspekt betrifft die enge Verwobenheit genetischer Erkrankungen mit körperlichen Fehlbildungen des Feten:
Die Fetale Morphogenese (Organanlage) ist nicht vor der 12. SSW abgeschlossen und eine ganzheitliche Erfassung fetaler Gesundheit über die Beurteilung der fatalen Anatomie früher nicht möglich. Ab der 12. SSW sind körperliche Fehlbildungen 10x häufiger (3-4% aller Feten) als genetische Erkrankungen (0,4% aller Feten = 1:220). Die meisten genetisch kranken Kinder sind auch körperlich auffällig. Bei genetisch kranken Kindern läßt das spezifische Fehlbildungs-Muster mit einer hohen diagnostischen Genauigkeit auf die zugrundeliegende Genetik rückschließen (Bsp: frühe Wachstumsretardierung und auffällige Kopf <-> Rumpf/Extremitätendiskrepanz). Daher ist die sonographische Feindiagnostik immer die am breitesten aufgestellte Suchmethode der ersten Wahl in der der Erfassung körperlich und genetisch kranker Feten.

4. Die logische Konsequenz hieraus lautet: Keine genetischen Tests ohne genaue Ultraschalluntersuchung des Fetus!

5. Die Technik der invasiven Diagnostik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten konsequent hin zu schonenderen Verfahren weiterentwickelt. Die Risiken der invasiven Diagnostik (Amniozentese und Chorionzottenbiopsie) sind hierunter deutlich gesunken und wurden folgerichtig daher in den letzten 10 Jahren in hochwertig gestalteten wissenschaftlichen Untersuchungen neu überprüft. Dabei ergab sich für die Amniozentese ein 10fach niedrigeres Restrisiko für Fehlgeburt als es bisher im Internet kommuniziert wird. Bei der Chorionzottenbiopsie liegt das Restrisiko bei statistisch 1 zu unendlich und damit bei nahezu Null. Damit ist die Chorionzottenbiopsie ein praktisch risikofreies, von der Kasse getragenes Diagnoseverfahren. Damit muß die Kultur der ärztlichen Aufklärung in der vorgeburtlichen Diagnostik komplett NEU bewertet und geschrieben werden. Diese neue Erkenntnis wird nachhaltige Auswirkungen auf die professionelle Beratung in der Pränatalmedizin haben.

Hintergrund hierzu ist: Die beiden invasiven Verfahren der Fruchtwasseruntersuchung (AC, Amniozentese) und der Chorionzottenbiopsie (CVS, Chorionic villi sampling) stellen seit mehr als 30 Jahren den Goldstandard in der vorgeburtlichen genetischen Diagnostik dar. Da in der klassischen, aus den 80er Jahren stammenden Literatur für beide Verfahren eine eingriffsbedingte Fehlgeburtshäufigkeit von etwa 0,5% (= 1 Fehlgeburt auf 200 Punktionen) kalkuliert wurde, galten bisher Fruchtwasseruntersuchung und Choriozottenbiopsie in der Wahrnehmung von Laien und Fachwelt zwar als die genauesten, inhaltlich besten Untersuchungsverfahren, aber eben nicht als risikofrei. Folgerichtig wurden in den vergangenen 25 Jahren nichtinvasive genetische Testverfahren (Nackentransparenztest, NT-Test oder NIPT-Rekonstruktion kindlicher DNA im mütterlichen Blut) entwickelt, welche eine Aussage zum genetischen Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes erlauben. Die Schwäche dieser Verfahren ist, daß es sich hierbei um Suchtests handelt, welche mmer nur ein genetisches Risiko beschreiben, nicht aber eine exakte genetische Diagnose liefern können.

In diesem Spannungsfeld zwischen Angst vor einem genetische kranken Kind und der Angst vor einer vermeidbaren eingriffsbedingten Fehlgeburt kam es  durch die zunehmende Trennschärfe der nichtinvasiven Suchverfahren zwischen krank und gesund bereits mit der Verfügbarkeit der Nackentransparenzmessung ab 2000 und noch viel mehr seit Einführung der NIPT genannten Methoden (in Deutschland ab 2012) zu einer zunehmenden Inanspruchnahme der nichtinvasiven Tests verbunden mit einem spiegelbildlichen Rückgang von Amniozentesen und Chorionzottenbiopsien.

Diese Entwicklung ist so gesehen plausibel nachvollziehbar. Sie ist allerdings aus einer gesellschaftlich-sozialen wie auch der medizinischen Betrachtungsweise des Erhaltes einer Versorgungsqualität besonders bei NIPT nicht völlig unproblematisch: NIPT ist ein reines Laborverfahren. Es  fokussiert sich auf das gezielte Erfassen des Downsyndroms und blendet sonstige (hauptsächlich über die Ultraschalluntersuchung) erfassbare Informationen zur fetalen Gesundheit aus. Eine unkritische, flächendeckende Anwendung als Suchtest ("Screening") der ersten Wahl käme bei NIPT einer (zurecht von Betroffenen- und Selbsthilfeverbänden kritisierten gezielten) Selektion von Menschen mit Downsyndrom gleich. Dabei bestünde zusätzlich die Gefahr, daß etablierte, hochdifferenzierte Standards einer breit aufgestellten, ganzheitlichen Erfassung fetaler Gesundheit am Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels durch die unzutreffende Verkürzung von gestörter fetaler Gesundheit auf genetische Erkrankungen und hier wiederum praktisch ausschließlich das Downsyndrom ohne Sinn und Not über Bord geworfen werden könnten. Diese Situation wird nun durch eine unerwartete und bisher in der Fach- wie Laienwelt noch nicht einmal im Ansatz diskutierte neue Erkenntnislage modifiziert:

Bereits im Jahre 2015 (Akolekar R, et al, Ultrasound Obstet Gynecol. 2015 Jan; 45(1):16-26) zeigte sich in einer breit angelegten multizentrischen Studie, daß die im Internet und in den einschlägigen ärztlichen Aufkärungsbögen benannten Risiken bei Fruchtwasseruntersuchung und Chorionzottenbiopsien mit den oben genannten 0,5% als deutlich zu hoch (deutlich zu risikoreich) angegeben sein dürften. So wurde für die Fruchtwasseruntersuchung ein tatsächliches Eingriffsrisiko von 0,1% (= 1 zu 1000) und für die CVS von 1 zu 500 berechnet. Nach neuesten, extrem verläßlichen Daten (Wulff CB et al, Danish Fetal Medicine Study Group, veröffentlicht Anfang 2016, untersucht wurden beinahe 150´000 Schwangerschaften) ist die Gewebeentnahme aus der Plazenta (CVS, Chorionzottenbiopsie) zur vollumfänglichen Abklärung genetischer Erkrankungen auf der Basis einer vorher erfolgten Nackentransparenzmessung mit einem nicht mehr kalklulierbaren, unendlich niedrigem Rest-Eingriffsrisiko (1 zu unendlich) verbunden.

Diese Einschätzung deckt sich mit der gelebten Erfahrung der Pränatalmediziner, welche regelmäßig (täglich) Chorionzottenbiopsien durchführen: Dadurch, daß bei der CVS – anders als bei der Fruchtwasseruntersuchung, hier muß immer eine Perforation der Eihaut erfolgen – eingriffsbedingt die Eihaut nicht durchbohrt wird, besteht bei der CVS bei technisch korrekter Durchführung kein plausibler Grund, weswegen sich Fruchtwasser überhaut entleeren und in der folge eine Fehlgeburt ausgelöst werden könnte.

Hieraus folgen als generelle Empfehlung an die Frauenärzte: 

  • Informieren sie früh (7./8. SSW) – Handeln Sie spät (>11. (NIPT) bzw.12. (NT, CVS) SSW))!
  • Die Natur reguliert das meiste von selbst!
  • Keine Labordiagnostik (NIPT, NT) ohne Morphologie
    (frühe Feindiagnostik, hier NT und Zusatzparameter zentral)
  • Test <-> Diagnose klar differenzieren!
  • Epidemiologie klar darstellen, Testergebnisse (Zahlen) sicher interpretieren! 
  • Die Betrachtung der Risiken insbesondere der invasiven Diagnostik (CVS) muß neu geschrieben werden!
  • Es gibt bei strukturierter, technisch korrekter Herangehensweise für jedes Verfahren KEIN unvorhersehbares (unkalkulierbares) Risiko! 
  • -> Die Schwangeren und die sie betreuenden Frauenärzte/innen müssen sich vor der Anwendung von Pränataldiagnostik nicht fürchten!

 

 

 

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