Aktueller Stellenwert der fetalen intrauterinen Chirurgie

by admin ~ September 23rd, 2012. Filed under: Allgemein.

Die Pränatalmedizin gliedert sich in den in die Bereiche "Pränatale Diagnostik" und "Pränatale Therapie". Dabei ist die Pränataldiagnostik in der jungen Historie des Faches der bedeutendere und weiter entwickelte Bereich. Dies führte dazu, daß Kritiker der Pränatalmedizin – in vorsätzlicher Leugnung der gebenen Tatsachen oder aus tatsächlicher Unwissenheit über die Materie – vorwerfen, sie sei unethisch und sinnlos, da der verfeinerten Diagnostik kein therapeutisches Konzept zur Seite stünde. Hiervon wird wiederum im Umkehrschluß die Forderung abgeleitet, daß dann auch die pränatale Diagnostik ethisch verfehlt und abzulehnen sei.

Fakt ist, daß bereits sehr früh in der Entwicklung des Faches "Pränatalmedizin" vorgeburtliche, auf die direkte fetale Behandlung zielende therapeutische Konzepte entwickelt und angewandt wurden. Hier eine Auswahl der Meilensteine in der pränatalen Therapie:

1963 erste intraperitoneale Bluttransfusion (Liley)
1974 Fetoskopie zur fetalen Probengewinnung (Hobbins)
1981 Fetoskopisch gesteuerte fetale Bluttransfusionen (Rodeck)
1981 offen-chirurgische fetale Vesicostomie mit Kathetereinlage (Harrison, San Francisco)
1982 Vesikoamniale Shunteinlage bei obstruktiver Uropathie des Feten
1982/3 sonographisch gesteuerte fetale Nabelschnurpunktion (Bang, Bock & Trolle, KopenhagenDaffos, Paris)
1984 Medikamentöse Therapie der congenitalen adrenalen Hyperplasie (21-OH-Mangel, Leitsymptom: Salzverlust, Virilisierung weiblicher Feten) mit Dexamethason
1988 fetoskopische Laserkoagulation chorangiopagischer Gefäße bei fetofetalem Transfusionssyndrom (de Lia, Salt Lake City, jetzt Medical College of Wisconsin)
1989 EXIT-Prozedur (erweiterter Kaiserschnitt mit Intubation des halbgeborenen Feten bei noch bestehender fetaler Zirkulation über die Nabelschnur)
1997/8 offen-chirurgische Therapie der Spina bifida (Tulipan & Bruner, NashvilleAdzick, Philadelphia)

Strukturell ist die pränatale Therapie in fogende Bereiche einzuteilen:

– systemische (medikamentöse) fetale Therapie
   — indirekt über die Applikation von auf die Bahndlung des Feten abzielenden Chemotherapeutika in das mütterliche Kompartiment
   — direkt über die Applikation von Chemotherapeutika in das fetale Kompartiment (Nabelschnur, Palcenta, Fruchtwasser, Fetus)

– topische, fetalchirurgische Therapie
   — sonographisch gestützt: Shunteinlagen bei obstruktiven Erkrankungen (Bsp. Vesikoamnialer Shunt bei Megazystis infolge posteriorer Urethrovesikalklappen) 
   — minimal-invasiv (fetoskopisch)
   — offen-chirurgisch

Unlängst wurde im Deutschen Ärzteblatt von den Autoren Anke Diemert, Werner Diehl, Peter Glosemeyer, Jan Deprest und Kurt Hecher eine Übersichtsarbeit zu diesem Thema mit dem Titel "Möglichkeiten und Grenzen der intrauterinen Chirurgie" veröffentlicht (Link Artikel als PDF).

Hier werden zunächst die Grundregel der Indikationsstellung zur Fetalchirurgie vorgestellt: Eine Indikation zur intrauterinen Chirurgie besteht nur bei Erkrankungen, die bereits intrauterin zum Fruchttod oder zu postnatal nicht mehr behandelbaren Schäden führen. Als wichtigste Krankheitsbilder, welche durch fetale Chirurgie behandelt werden können, führen die Autoren auf:

– FFTS – fetofetales Transfusionssyndrom
– TRAP – Sequenz
– Kongenitale Zwerchfellhernie
– Meningomyelozele

Als seltene bzw. noch experimentelle Indikation listen die Autoren weiter auf:

– Kongenitale Aortenstenose
– Kongenitale Pulmonalstenose
– Sakrokokzygeales Teratom
– kongenitale zystisch-adenomatoide Lungenmalformation (CCAM(L))
– pulmonale Sequester
– infravesikale onstruktive Uropathien

Zu den einzelnen Krankheitsbildern führen die Autoren aus:

FFTS
Bei dieser rel. häufigen Pathologie (Inzidenz 1: 2´500 Schwangerschaften bzw. 1: 50 Mehrlings-Schwangerschaften) konnte die Überlegenheit der der Laserkoagulation gegenüber seriellen Amniondrainagen eindeutig belegt werden (Evidenzgrad I, Vergl. Evidenzbasierte Medizin) mit einem Vorteil bei den Endpunkten fetales Überleben (mind. 1 Zwilling 76% vs. 56%), Gestationsalter bei Geburt und neurologisches Endergebnis (31% neurolog. Komplkationen vs. 52%). Die Überlebensrate bei Lasertherapie des FFTS beträgt in spezialisierten Zentren 90% für mind. einen Zwilling und 70% für beide Zwillinge. Bei Drillingen beträgt diese für mind einen Drilling 83%, für mind. zwei Drillinge 72% und für alle drei Drillinge 39%. Bei einer Nachuntersuchung im Lebensalter von zwei Jahren finden sich bei 7% der ehemalig lasertherapierten Zwillinge ein leichtes und in 6% eine schweres neurologisches Defizit.

TRAP-Sequenz
Bei dieser sehr seltenen Zwillingspathologie (Inzidenz 1: 35´000) beträgt ein Evidenzgrad II für die fetoskopische Laserblation oder mono- bzw. bipolare Fasszangenkoagulation der das pathologische Geschehen unterhaltenden fetofetalen Anastomosen. So überleben 80% der Pumpzwillinge und 2/3 von ihnen erreichen mindestens die 37.SSW und damit die fetale Reife bei Geburt.

Kongenitale Zwerchfellhernie
Bei dieser relativ häufigen fetalen Pathologie (inzidienz 1: 2´500 – 1: 5´000) beträgt der Evidenzgrad I bis II für die Sinnhaftigkeit der fetoskopischen endoluminalen Trachealokklusion (FETO): Mit FETO verlassen 49% der linksseitig hernienerkrankten Neugeborenen lebend das Krankenhaus gegenüber  24% mit rein postnataler Therapie. Bei rechtsseitigen Hernien verlassen immerhin 35% der mit FETO therapierten, an der Zwerchfellhernie erkrankten Neugeborenen das Krankenhaus gegenüber 0% ohne pränatale Therapie. Insgesamt stellt die Frühgeburtlichkeit bei Zwerchfellhernien-erkrankten Feten ein erhebliches Problem dar: Ein Drittel von Ihnen kommt vor der 34. SSW zu Welt. Zur postpartalen Langzeitprognose gibt es noch keine Daten.

Myelomeningozele
Bei dieser häufigen Pathologie (Inzidenz 1: 800 Schwangerschaften) besteht ein Evidenzgrad I für den Vorteil der pränatalen chirurgischen Verschlussbehandlung gegenüber dem postpartalen chirugischen Ansatz. Es kommt zu einer deutlichen Senkung des Endpunktes "Notwendigkeit einer Shunt-Op" (40% vs. 82%) und "Fähigkeit des freien Laufens mit 3 Jahren" (42% vs. 21%). Getrübt wird das Bild durch die hohe Rate an vorzeitigen Blasensprüngen (46% vs. 8%) und Frühgeburten (79% vs. 15%), welche einer Fortentwicklung der Methodik hin zu mininmal-invasiven Verfahren das Wort redet.

Kongenitale Aortenstenose
Die hier fetalchirurgisch in Frage kommende fetale Valvuloplastie wird nach der 20. SSW durchgeführt. Hierzu geeignet sind solche Feten, bei welchen ein hohes Risiko für die Entwicklung eines hypoplastischen Linksherzsyndromes besteht. Da die Fallzahlen bisher noch gering sind und randomisierte Studien fehlen, ist diese Methode noch mit Zurückhaltung zu bewerten.

Kongenitale Pulmonalstenose
Hier ist die Sach- und Datenlage analog zur Aortenstenose zu sehen.

Sakrokokzygeale Teratome
Diese seltenen fetalen Tumore (Inzidienz 1: 27´000) sind sehr gefäßreich mit AV-Anastomosen. Hier setzt das noch experimentelle fetalchirurgische Konzepot der Laserkoagulation bzw. der fetoskopischen Radiofrequenzablation an.

CCAML
Diese seltene (Inzidenz 1: 8´000) fetale Fehlbildung kann fetalchirurgisch experimentell bei großen Zysten mit einer perkutanen Sklerotherapie der Zysten behandelt werden. Alternativ steht als systemisch-pränataltherapeutischer Ansatz der Einsatz placentagängiger Steroide bereit.

Weiterführende Links zum Thema "Pränatale Therapie" und "Pränatale Chirurgie" finden Sie hier:

Fetal Treatment Center der University of California, San Francisco
Center of Fetal Diagnosis and Treatment – CHOP – The Children´s Hospital of Philadelphia
NAFTNet – North American Fetal Therapy Network
DZFT – Deutsches Zentrum für Fetalchirurgie

 

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